„Albtraum-Szenario“
Habeck zur Gaskrise: „Wir müssen uns auf das Schlimmste einstellen“

09.07.2022 | Stand 09.07.2022, 18:57 Uhr
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zeichnet ein düsteres „Albtraum-Szenario“ in der Gaskrise. −Foto: dpa

„Albtraum-Szenario“ und „Zerreißprobe“: Angesichts des drohenden Ausfalls von Gaslieferungen aus Russland stimmt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Bürgerinnen und Bürger auf schwere Zeiten ein.



Im Winter drohe bei der Gasversorgung eine „ernste“ Lage, wenn es nicht gelinge, bis dahin die Speicher zu füllen und neue Versorgungswege - etwa für Flüssiggas - zu öffnen, sagte Habeck am Samstag dem Deutschlandfunk. Die Mieterbund warnte angesichts der hohen Gaspreise vor dem Ruin von Millionen von Haushalten.

„Wir müssen uns ehrlicherweise immer auf das Schlimmste einstellen und ein bisschen für das Beste arbeiten“, sagte Habeck im Deutschlandfunk. Er warnte in dem Interview vor einem „politischen Albtraum-Szenario“. Dieses träte ein, wenn der Staat im akuten Krisenfall die Zuteilung von Gas steuern müsste - ein Schritt, den er nur als „ultima ratio“ gehen würde.

Lesen Sie auch:

Kreml: Bei Rückkehr von Turbine wieder mehr Gas für Europa

„Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten“, sagte der Vizekanzler. „Das wird die gesellschaftliche Solidarität bis an die Grenze und wahrscheinlich darüber hinaus strapazieren.“

„Werden alles tun, was notwendig ist“

Habeck sprach sich für ein neues Entlastungspaket aus - und stellte weitere Milliarden aus der Staatskasse für die Stützung von Gaskäufen in Aussicht. Es sei „völlig klar, dass wir das tun werden, was notwendig ist, um die Versorgungssicherheit in Deutschland bereitzustellen“, sagte er. „Wenn der Markt noch teurer wird, dann müssen wir vielleicht noch mal nachschießen.“

Dem russischen Energielieferanten Gazprom warf Habeck vor, unter „fadenscheinigen Gründen“ die Gaslieferungen nach Deutschland reduziert zu haben. Unklar sei, wie es nach den am Montag beginnenden Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 weitergehen werde. „Alles ist möglich, alles kann passieren“, sagte Habeck.

Mieterbund warnt vor Ruin von Millionen Haushalten

Angesichts der drastisch gestiegenen Energiepreise warnte der Deutsche Mieterbund vor dem finanziellen Kollaps von Millionen Haushalten in Deutschland. Der starke Kostenanstieg „könnte nicht weniger als den Ruin für Millionen Mieter bedeuten“, sagte Verbandspräsident Lukas Siebenkotten der „Bild“.

Siebenkotten rief die Bundesregierung auf, „kurzfristig erhebliche Heizkostenzuschüsse für die Menschen auf den Weg zu bringen, die sonst eine geheizte Wohnung nicht mehr bezahlen können“. Geschehe dies nicht, seien „soziale Verwerfungen und Auseinandersetzungen zu befürchten“.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sieht ohne weitere staatliche Hilfen den sozialen Frieden in Gefahr. Sie sagte der „Bild“, armen Rentnerinnen und Rentnern drohe „im schlimmsten Fall der Verlust der Wohnung, weil die Heizkosten oft Bestandteil der Miete sind“.

Auch die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) warnte vor sozialen Konflikten. „Gas-Knappheit kann im Herbst eine soziale Krise durch noch einmal sprunghaft steigende Preise auslösen“, sagte sie dem „Handelsblatt“.

Enormes soziales Konfliktpotenzial

Deutschland bereitet sich nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unter Hochdruck auf eine Krise bei der Energieversorgung vor. „Wir haben jetzt viele Entscheidungen getroffen, die dazu beitragen sollen, dass wir uns vorbereiten auf Mangellagen“, sagte Scholz in einer am Samstag veröffentlichten Videobotschaft. Dies betreffe insbesondere die Gasversorgung. „Wir bauen Pipelines, Flüssiggasterminals“, sagte Scholz. „Wir sorgen dafür, dass eingespeichert wird in unsere Gasspeicher.“

Der neue Linken-Chef Martin Schirdewan übte derweil Kritik an den Appellen der Bundesregierung, angesichts der Gaskrise den privaten Energieverbrauch einzuschränken. „Ich rate den Leuten, nicht auf die Verzichtspropaganda hereinzufallen“, sagte er den Funke-Zeitungen vom Samstag. „Es kann nicht darum gehen, weniger zu heizen oder kälter zu duschen.“ Stattdessen forderte Schirdewan eine gezielte Unterstützung einkommensschwacher Haushalte.

− afp