Interview
Conny Fritsch will den DFB aufwecken

Der deutsche CP-Fußball fristet ein Mauerblümchendasein. Das soll sich mit der Teilnahme an der WM in Spanien schnell ändern.

06.07.2019 | Stand 16.09.2023, 5:40 Uhr
Frank Betthausen

Conny Fritsch (36) ist klar in seinen Ansagen, aber immer locker und humorvoll. Foto: Frank Betthausen

Er ist Bundestrainer, sein Leben ist der Fußball – und doch ist er von der Arbeit, die Jogi Löw betreibt, mindestens so weit weg wie Spanien von Deutschland. Conny Frank Fritsch (36), der aus Oberfranken stammt und in Landshut lebt, coacht seit zwei Jahren die Nationalmannschaft für Fußballer mit Cerebralparese (CP). Sein Team hat am Montag (9 Uhr gegen England) sein erstes Vorrundenspiel bei der Weltmeisterschaft (6. bis 19. Juli) in Sevilla.

Dem Kader gehörenmit dem Waldmünchner Christian Eidenhardt (32)und demWiesenfeldener Daniel Sperl (29)auch zwei Aktive aus Ostbayern an. Wir haben Fritsch zum Interview in der Sportschule Oberhaching getroffen. Seine 14 Aktiven holten sich dort vor dem Abflug nach Spanien bei zwei Testspielen gegen Australien (2:6 und 2:1) den Feinschliff.

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Fritsch selbst ist nach einem Autounfall im Alter von 21 Jahren, bei dem er ein Schädel-Hirn-Trauma davontrug, frühverrentet. Der Schicksalsschlag beendete in letzter Konsequenz auch seine vielversprechende Spielerkarriere. Fritsch durchlief von der U15 bis zur U17 alle Jugend-Nationalmannschaften, trug das Trikot der SpVgg Greuther Fürth und errang 1999 mit der Bayernauswahl die Deutsche Meisterschaft.

Herr Fritsch, was halten Sie Kritikern entgegen, die sagen: „CP-Nationalmannschaft? Da stolpern doch nur Kreisliga- oder B-Klassen-Kicker über den Platz!“?

Solchen Vorurteilen begegnet man in Deutschland leider sehr oft. In anderen Ländern ist das anders. Gerade in den USA oder Australien wird das ganz anders angesehen und gefördert. Auch über Spenden. Bei uns beißt man da an vielen Stellen auf Granit. Ich sage den Leuten oft: Passt auf und stellt euch vor, wie das für euch wäre, Fußball zu spielen und ein Bein oder einen Arm nicht richtig bewegen zu können. Das ist eine Höchstleistung, die diese Jungs bieten, von denen viele in ihren Vereinen gegen Spieler ohne Beeinträchtigung auflaufen. Über abfällige Äußerungen kann ich nur müde lächeln, weil ich weiß, was das für eine Leistung ist.

„Die Jungs nehmen alles an, was man ihnen sagt und versuchen, alles umzusetzen.“Conny Fritsch

Was macht die Arbeit mit gehandicapten Spielern so besonders und wertvoll?

Das ist vor allem die Dankbarkeit, die man von den Spielern zurückbekommt. Die Jungs nehmen alles an, was man ihnen sagt und versuchen, alles umzusetzen. Mit einem Eifer, der sagenhaft ist! Meine Spieler, die wollen einfach und saugen alles auf. Das ist wahrscheinlich auch der Unterschied zum normalen Fußball.

Sie sind für das kommende Jahr als Fußballlehrer zugelassen worden und machen die höchste Trainerausbildung in Deutschland. Wohin soll Ihr Weg noch führen?

So lange es das Team gibt, werde ich der deutschen CP-Nationalmannschaft immer verbunden bleiben. Ich bin seit Anfang an, seit 2014, dabei, habe das erste Spiel mitgemacht und damals das erste Tor geschossen. Ich war bei allen Partien dabei – als Spieler und als Trainer. Ich kann mich, was das Gute ist, in meine Truppe hineinversetzen und weiß, was es heißt, mit dieser Einschränkung auf den Platz zu gehen. Die Jungs mögen mich, so kommt es mir vor, und ich mag die Jungs. Aber ist es natürlich mein Ziel, als Trainer einmal weiter nach oben zu kommen und in der 3. oder 2. Liga zu arbeiten.

Die deutsche CP-Nationalmannschaft ist erstmals in ihrer jungen Geschichte bei einem World Cup, einer Weltmeisterschaft, vertreten. Was rechnen Sie sich heuer – nach dem beachtlichen sechsten Platz bei der EM 2018 – aus?

Das Turnier in Sevilla ist für uns ein Dosenöffner, weil wir viele Punkte für die Weltrangliste einheimsen – aktuell stehen wir auf Platz 21 – und uns dort verbessern werden. In der Folge bekommen wir bei Turnieren leichtere Gruppen, da wir nicht immer die am schlechtesten gesetzte Mannschaft sind. Uns gibt es noch nicht lang, aber das Team hat einen Riesenschritt gemacht. Mit Blick auf den World Cup müssen wir dennoch realistisch sein. Wir haben in der Vorrunde mit Brasilien die Nummer zwei der Welt vor der Brust und mit England die Nummer vier. Das wird sehr schwer. Japan steht auch vor uns – wobei wir uns gegen diese Truppe mehr ausrechnen. Dritter in der Gruppe zu werden, ist also unser realistisches Ziel, wenn wir Zweiter werden, freue ich mich riesig.

Was sind Ihre Ansprüche für den CP-Fußball? Sie haben mit sehr geringen Mitteln in den vergangenen zwei Jahren viele professionelle Strukturen geschaffen.

Bei all dem muss man zunächst sehen, dass die anderen Mannschaften von ihren Landesverbänden wesentlich besser unterstützt werden – in den Niederlanden etwa durch den KNVB oder in England durch die FA. In anderen Nationen gehören die CP-Nationalmannschaften alle dem Verband an. Das ist in Deutschland nicht so. Wir gehören zum Deutschen Behindertensportverband. Dadurch haben wir auch ein sehr niedriges Budget von gerade einmal 10 000 Euro. In Australien, um unseren letzten Gegner zu nennen, sind es 200 000 Euro pro Jahr. Vor diesem Hintergrund ist es doppelt schwer, aufzuholen, wenn die anderen mehr Geld zur Verfügung haben. Aber: Wir kommen, wie gesagt, mit Riesenschritten voran. Unser Ziel ist es, unter die ersten Zehn der Welt zu kommen. In den Ländern, die dort vertreten sind, gibt es Profi-Ligen und die Spieler leben von ihrem Sport.

Das ist die sportliche Seite, die sportliche Aufgabe. Was muss darüber hinaus passieren, damit Ihr Schattendasein ein Ende nimmt?

Wir sind einfach nicht bekannt. Wir müssen es schaffen, populärer zu werden! Zum Vergleich: In Bayern gibt es 50 oder 60 oder noch mehr CP-Spieler. In Sachsen oder Thüringen habe ich keinen einzigen, in Baden-Württemberg zwei. Das kann nicht sein – und das glaube ich auch nicht, dass es in diesen Bundesländern so wenig Leute gibt, die diese Einschränkungsform haben, die zu unserem Sport gehört. Die Niederlande, um ein Beispiel zu nennen, sind ein kleines Land und haben ein Vielfaches an Spielern und ganz andere, professionelle Strukturen. Wir haben mehr als 80 Millionen Einwohner. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es da nur 150 Betroffene gibt, die diese Behinderung haben.

Deutschland ist groß. Wie spähen Sie Ihre Spieler aus? Wie finden Sie Aktive, die das sportliche Talent mitbringen und dazu auch noch das entsprechende Schicksal oder Krankheitsbild?

Das ist wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Sehr viel läuft über Mund-Propaganda oder das Internet. Was seltsam ist: Immer dort, wo ich einen Spieler finde, finden sich auch mehrere. Gleich noch seltsamer ist es, dass ich aus Städten wie Frankfurt oder Stuttgart niemanden habe. Selbst aus Berlin verfüge ich über keinen einzigen Spieler. Deswegen müssen wir dringend unsere Popularität weiter steigern. Wenn wir das schaffen, bin ich mir sicher, dass es auch in Deutschland mit diesem Projekt ganz schnell nach oben geht.

„Die Jungs haben es einfach verdient, auch dadurch eine gewisse Anerkennung zu bekommen.“Conny Fritsch

Ihr größter CP-Fußball-Traum?

Das ist gar nichts Sportliches, sondern einfach der Wunsch, dass uns der DFB wahrnimmt, uns sieht und uns entweder zu sich nimmt oder eben besser unterstützt. Ich will hier nichts Schlechtes über den Deutschen Behindertensportverband sagen. Rein gar nicht! Wir werden hier unterstützt, wie es eben geht. Aber wir sind eine Fußballnationalmannschaft, in der alle Spieler Mitglieder bei DFB-Vereinen sind. Die Jungs haben es einfach verdient, auch dadurch eine gewisse Anerkennung zu bekommen...

Für unser Medienhaus führt der Waldmünchner Christian Eidenhardt Tagebuch aus Sevilla.