Nürnberg
Wie die E-Akte der Justiz hilft

Seit einem Monat arbeitet die Justiz mit elektronischen Unterlagen. Der Präsident des Landgerichts erklärt die Neuerung.

24.01.2022 | Stand 15.09.2023, 21:36 Uhr
Freut sich über die vielen Vorteile der neuen elektronischen Akte für die Justiz: Roland Glass, der Präsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth −Foto: Friedrich Weitner/Landgericht Nürnberg-Fürth

Roland Glass ist der Präsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Im Interview spricht er darüber, was die größte Herausforderung bei der Umstellung auf die E-Akte war und ob das häufig als kompliziert und undurchsichtig bezeichnete Rechtssystem dadurch transparenter werden kann.

Herr Glass, welche Rolle spielt die Akte im Justizsystem?

Ohne die Akte wäre ein Zivilprozess kaum vorstellbar. Denn für die erkennenden Richterinnen und Richter kann nach dem in der Zivilprozessordnung geltenden „Beibringungsgrundsatz“ als Entscheidungsgrundlage nur der Prozessstoff herangezogen werden, den die Verfahrensbeteiligten schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben. Außerdem wird in der Akte der Verfahrensgang umfassend dokumentiert, was auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedeutsam ist.

Klingt nach viel Papier. Wie viele Aktenordner zirkulieren denn ungefähr noch im Nürnberger Justizpalast?

Eine ganze Menge! Ich kann Ihnen jedenfalls sagen: Allein beim Landgericht Nürnberg-Fürth sind im Jahr 2021 mehr als 8000 Zivilverfahren eingegangen. Darunter waren nicht nur erstinstanzliche Klagen, sondern auch Berufungsverfahren und Beschwerdesachen. Wenn man sich vor Augen führt, dass Verfahren mit zum Teil sehr umfangreichem, mehrbändigem Aktenbestand nicht alle im selben Jahr erledigt werden und auch bei abgeschlossenen Zivilsachen die Akten nach den bestehenden Bestimmungen – jedenfalls teilweise – noch über viele Jahre aufzubewahren sind, erhält man eine ungefähre Vorstellung unseres Aktenbestands. Im Übrigen ist es auch so, dass mit der Einführung der elektronischen Akte beim Landgericht zum 13. Dezember 2021 bereits anhängige Verfahren nicht digitalisiert wurden, sondern in Papierform weitergeführt werden.

Was ist die größte Herausforderung bei der Umstellung gewesen?

Das war sicherlich die Bereitstellung der personellen, sachlichen und technischen Voraussetzungen: Es mussten etwa 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der erforderlichen IT-Ausstattung versorgt und im Umgang mit der elektronischen Akte geschult werden - von den Richterinnen und Richtern über die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger bis hin zu den Serviceeinheiten in den Geschäftsstellen. Der vollständige Umbau unserer bisher provisorisch für die elektronische Akte ausgestatteten Sitzungssäle wird voraussichtlich noch das ganze Jahr 2022 in Anspruch nehmen. Nach mehr als einem Monat im „Echtbetrieb“ freue ich mich aber, sagen zu können, dass die Umstellung bisher hervorragend gelaufen ist – vor allem dank der sehr engagierten und gegenüber dem neuen Medium aufgeschlossenen Mitarbeiter des Landgerichts!

Was sind die wichtigsten Vorteile der E-Akte?

Ein wesentlicher Vorteil ist aus meiner Sicht die ständige Verfügbarkeit der elektronischen Akte für den Entscheider. Über ein elektronisches Integrationsportal existiert nun quasi eine gerichtsinterne „Cloud“. Für die Richter sowie für die Rechtspfleger bedeutet das, dass sie eben nicht mehr auf eine Papierakte angewiesen sind, sondern jederzeit auf alle Dokumente eines Verfahrens zugreifen können, beispielsweise auch im „Homeoffice“ oder unterwegs über den Dienst-Laptop – ein unschätzbarer Vorteil, gerade in Pandemiezeiten.

Gibt es darüber hinaus noch weitere Verbesserungen?

Eine Weiterbearbeitung der Sache ist nunmehr aber auch dann möglich, wenn die Akte zum Beispiel an einen Sachverständigen zur Gutachtenser-stattung oder an einen Prozessbevollmächtigten zur Einsicht versandt ist. Besonders hervorheben möchte ich die seit der Umstellung zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten, die vor allem bei umfangreichem Aktenbestand zu einer erheblichen Arbeitserleichterung führen.

Mit der Volltextsuche kann man jetzt zum Beispiel den gesamten Sachvortag der Parteien zu einem konkreten Baumangel herausfiltern und erspart sich dadurch ein zeitaufwändiges Durchsuchen zahlreicher Schriftsätze. Entscheidungen, Verfügungen oder Hinweise können nunmehr unmittelbar und ohne lange Laufwege von der Geschäftsstelle an die Verfahrensbeteiligten hinausgegeben werden.

Die Arbeit der Justiz wird damit nicht nur zeitgemäßer, sondern auch flexibler und effizienter. Schließlich wird mit der Zeit auch der Raumbedarf für die Unterbringung der Akten deutlich sinken. Denn die Akten befinden sich nun auf dem Server statt in den Schränken der Geschäftsstellen oder im Archiv des Gerichts.

Was werden Sie an der alten Akte vermissen?

Nur etwas das haptische Erlebnis der Papierakte, sonst nichts!

Was werden Sie überhaupt nicht vermissen?

Die teilweise sehr weiten Transportwege der Akten zwischen Entscheidern und den Mitarbeitern der Geschäftsstelle.

Wie wird die Umstellung auf elektronische Datenverarbeitung die Justiz langfristig verändern?

Die Welt wird immer digitaler. Auch die Justiz darf da nicht zurückbleiben, sondern muss ihre Digitaloffensive weiter vorantreiben. Die Einführung der elektronischen Akte ist aus meiner Sicht nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Natürlich müssen auch die Verfahrensvorschriften entsprechend angepasst werden: Die Zivilprozessordnung (ZPO) ist für die Papierakte gemacht, nicht für die elektronische Akte. Einige konkrete Vorschläge hierzu hat die von den Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichthofs eingerichtete Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ bereits erarbeitet und zur Diskussion gestellt. Darunter sind zum Beispiel ein sicherer, bundesweit einheitlicher Bürgerzugang in Form eines Justizportals, „virtuelle Rechtsantragsstellen“ oder die Einführung eines „online“ geführten Verfahrens.

Die E-Akte

Vorteile:Bearbeitung:
Mit der Einführung können mehrere Personen parallel ein Verfahren bearbeiten.Sie steht dem Sachbearbeiter nunmehr auch zur Verfügung, wenn sie bisher zur Akteneinsicht versandt werden musste.

Kann das häufig als kompliziert und undurchsichtig bezeichneteRechtssystem dadurch transparenter werden?

Durch Modernisierung der Verfahrensordnungen und konsequente Nutzung der Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, könnten in Teilbereichen der Zugang zur Justiz erleichtert und bestehende Hemmschwellen abgebaut werden. Unabhängig davon geht es in diesem Zusammenhang aber auch um die Akzeptanz und das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger für gerichtliche Verfahren und Entscheidungen. Hier bewegen wir uns in einem gewissen Spannungsfeld.

Denn das Recht sollte einerseits möglichst klar und in seiner Anwendung nachvollziehbar sein. Andererseits muss es aber auch in jedem Einzelfall eine tragfähige, praktikable und gerechte Antwort geben. Hier sind wir als Richter besonders gefragt, trotz immer komplizierter werdender Regelungen, auch mit internationalen und europarechtlichen Bezügen, die unsere Entscheidungen tragenden wesentlichen Gründe für die rechtsuchenden Bürger verständlich darzulegen.