Freizeit
„Pfadis“: Eine Gemeinschaft fürs Leben

Für manche wirken Pfadfinder antiquiert. Der Stamm Trubilo kennt aber keine Nachwuchssorgen und pflegt sein Netzwerk.

15.02.2018 | Stand 16.09.2023, 6:08 Uhr
Kerstin Hafner

Singen und Plaudern am Lagerfeuer – diese Gruppenerfahrung gibt es bei den Pfadfindern noch heute. In der Gemeinde Obertraubling stehen die Pfadfinder aber auch für vielfältiges soziales Engagement. Sie packen an, wo sie gebraucht werden. Fotos: Andreas Hillinger, Hafner (4)

Ist man heutzutage als junger Mensch eigentlich der „Nerd“ – also der etwas seltsame Sonderling – wenn man in einer Gruppe Gleichaltriger erzählt, dass man zu den Pfadfindern gehört? Drei heftig nickende Köpfe, nur Timo lässt die Frage unkommentiert. Daniel, Clemens und Andreas vom Obertraublinger Pfadfinderstamm Trubilo kennen die Reaktionen ihrer Mitschüler oder neuer Bekanntschaften beim Ausgehen. „Alle haben sofort das Hollywood-Klischee der Boy Scouts vor Augen, immer in der Kluft mit Halstuch und Abzeichen und immer auf der Suche nach Fährten.“

Clemens rollt genervt die Augen. „Viele wissen einfach nicht, was wir heutzutage alles machen, worum es bei den Pfadfindern geht. Bei einem Sportverein ist das anders“, sagt Andreas. „Aber ganz ehrlich, wenn du in der Stadt neue Leute triffst und sagst, dass du auf dem Land wohnst und in der Feuerwehr bist, versteht auch keiner, warum du das machst.“

Auf die anderen ist Verlass

Daniel erklärt: „Wenn ich in so einer Situation bisschen was von uns erzähle, zum Beispiel, dass ich hier um die 80 echte Freunde habe, auf die ich mich hundertprozentig verlassen kann, wenn ich sie brauche, dann kriegt die Sache einen anderen Dreh. Das finden dann schon wieder alle cool.“ Klar – wie viele von tausend Facebook-Freunden helfen einem zum Beispiel kurzfristig beim Umzug?

Pfadfinder sind Angehörige einer weltumspannenden, religiös und politisch unabhängigen Erziehungsbewegung für Kinder und Jugendliche, die grundsätzlich Menschen aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen offensteht. Bei den Obertraublingern, die in der katholischen Pfarrei organisiert sind und ihre Räumlichkeiten im Pfarrheim haben, war vor einigen Jahren beispielsweise auch mal ein muslimischer Bub dabei.

Aktuell besteht der Stamm aus rund 70 evangelischen, katholischen und konfessionslosen Kindern und Jugendlichen von sieben bis 17 Jahren, die in vier Gruppen eingeteilt sind. Dazu kommen rund 30 aktive junge Erwachsene, die sich als Gruppenleiter betätigen oder in der Organisation mithelfen. Männlein und Weiblein halten sich etwa die Waage. In und um Obertraubling genießen die Pfadfinder einen sehr guten Ruf, auch weil sie sich vielseitig in der Gemeinde und Diözese engagieren, zum Beispiel beim vierteljährlichen Dritte-Welt-Verkauf in der Kirche, bei der Altkleidersammlung, Nikolausaktion und Christbaumsammelaktion, aber auch mit dem Einkaufsservice für Senioren. „Wo immer man im sozialen, caritativen und gemeinnützigen Bereich helfende Hände braucht, stehen wir gerne zur Verfügung“, sagt Timo. Ziel der Pfadfinderbewegung ist die Förderung der Entwicklung junger Menschen, damit diese in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen können. So angestaubt, wie mancher Zeitgenosse meinen mag, ist der Grundgedanke also schon mal nicht, auch wenn er aus einem anderen Jahrhundert stammt: Das erste Pfadfinderlager – Jamboree genannt – wurde 1907 von einem britischen General, Robert Baden-Powell, auf der englischen Insel Brownsea Island durchgeführt. Aus den Erfahrungen dieses Lagers entwickelte der General eine eigenständige Erziehungs-Methodik. Individuelle Stärken werden gefördert, individuelle Schwächen federt die Gemeinschaft ab.

Jede Woche ist Treffen

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts breitete sich die Pfadfinderbewegung auf der ganzen Welt aus. Sie wurde schon nach wenigen Jahren in mehrere Altersstufen gegliedert, um angepasste Lern- und Erlebnisräume zu schaffen. Den Kindern werden mit Dauer der Zugehörigkeit immer mehr Aufgaben übertragen, wobei sie eigene Lösungen finden und durch diesen Prozess lernen sollen. Es gibt keinen Erfolgsdruck.

Aktuell gehören zur Pfadfinderbewegung weltweit mehr als 40 Millionen Kinder und Jugendliche in zahlreichen nationalen und internationalen Verbänden. Angeblich gibt es nur in sechs Ländern der Welt bis heute keine Pfadfinder: Nordkorea, Laos, China, Myanmar, Kuba und Andorra.

„Jede Gruppe des Trubilo-Stamms trifft sich einmal wöchentlich“, berichtet Andreas, einer der Gruppenleiter. Bei den Gruppentreffen und Stammeslagern (Zeltwochen/Hüttenwochenenden) sind Smartphones und Tablets übrigens verboten. Natürlich tragen Pfadfinder bei den eigenen, Diözesan- oder internationalen Stammestreffen ihre Kluft mit Abzeichen, Aufnähern und Halstuch, aber nicht dauernd. Die Kinder laufen auch in normalen Klamotten herum.

Eingeteilt werden die gemischten Gruppen von klein bis groß in Wölflinge, Jungpfadfinder, Pfadfinder, Rover und Leiter, Geschlechtertrennung in Boy und Girl Scouts gibt es seit 20 Jahren nicht mehr. Obwohl sich die Zahl der Mitglieder mit zunehmendem Alter (vor allem nach dem Schulabschluss und der darauf folgenden Neuorientierung) ausdünnt, plagen die Obertraublinger keine Nachwuchssorgen. „Aber das Schönste ist eigentlich, dass wir mit jedem Anliegen auch zu unseren Ehemaligen kommen können und Hilfe bekommen. Egal ob wir schweres Gerät für eine Aktion benötigen oder organisatorische Hilfe. Meist bleibt man ein Leben lang in Freundschaft verbunden. Ein ehemaliger Gruppenleiter lebt jetzt in London. Er fliegt jedes Jahr zu einem Treffen rüber.“

Pfadfinder sind eine große Familie:

Andreas: „Auf dem internationalen Stammestreffen in Norwegen habe ich sogar Ägypter getroffen. Über soziale Medien ist es heutzutage leicht, zu solchen weit entfernten Gruppen Kontakt zu halten. Interessant ist auch, wie jedes Land die Pfadfinderidee auf seine eigene Art umsetzt.

Clemens: „Ich habe gerade zu den Leitern gewechselt und fahre dieses Jahr mit meiner Gruppe zu einem internationalen Stammeslager nach Portugal. Ich bin schon sehr gespannt. Dass es Pfadfinder überall auf der Welt gibt, fand ich von Anfang an interessant. Und das Netzwerk funktioniert super.“

Daniel: „Das gemeinsame Gedankengut verbindet Pfadfinder zu einer großen Familie. Ich war mit Freunden letztes Jahr in Irland und wir haben spontan kein Hostel gefunden. Wir haben irische Stammesmitglieder kontaktiert, waren herzlich willkommen und konnten dort übernachten.“

Timo: „Bei uns kann jedes Kind ab sieben Jahren gerne drei- oder viermal reinschnuppern und sich dann entscheiden, ob es weitermachen will. Anders als in der Schule gibt es keinen Erfolgsdruck, die Aufgaben werden nach individueller Eignung verteilt, die Gruppenleistung führt zum Ziel.“