Schlagende Nonnen ließen auf Holzscheiten beten

Buch von Spiegel-Redakteur schildert Grausamkeiten in Kinderheimen früherer Tage / Auch Kallmünz betroffen

09.06.2006 | Stand 09.06.2006, 17:51 Uhr

In der Zeit des Wirtschaftswunders verbrachten einige hunderttausend Heimzöglinge unter unvorstellbaren Bedingungen ihre Kindheit in kirchlichen oder staatlichen Einrichtungen, hat Peter Wensierski für sein Buch „Schläge im Namen des Herrn“ recherchiert. Ohne großes Federlesens von Behörden in Heime eingewiesen, wurden Kinder und Jugendliche in den 50er und 60er Jahren dort weggesperrt und ausgebeutet, von schlecht ausgebildeten und überforderten Erziehern gedemütigt und misshandelt, schreibt Wensierski und belegt dies auch mit Fällen aus Kallmünz.

Mit der bloßen Faust habe eine Nonne den 13-jährigen Josef Doll Mitte der 60er Jahre mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen, bis er fast ohnmächtig wurde, gab es für Pfarrer Heindl dort zu lesen. Die Kinder mussten auf Holzscheiten kniend beten, wurden auf die kochend heiße Herdplatte gesetzt, mussten Erbrochenes wieder aufessen — ein Panoptikum des Grauens schilderte der ehemalige Kallmünzer Heimzögling Josef Doll.

Pfarrer Heindl war 1970 bereits als Kaplan in Kallmünz. Ins Heim eingebunden war er aber nicht. Von solchen Misshandlungen habe er auch im Religionsunterricht von den Kindern nie etwas gehört, sagt er. Erst Autor Wensierski, der für sein Buch auch in Kallmünz recherchierte, habe konkrete Beispiele genannt, die nicht nur für ihn zunächst kaum zu glauben waren.

Stiftungsleiter Alois Frank hat sofort recherchiert und bestätigt, dass Josef Doll und die anderen genannten Zeitzeugen Heinz Aubeck sowie Anton und Ludwig Tengler tatsächlich im Kallmünzer Heim untergebracht waren. Ihre Namen sind im alten Aufnahmebuch verzeichnet, das bis ins Jahr 1941 zurückreicht. Ins Leben gerufen wurde die Kinder- und Altenheimstiftung bereits im Jahr 1862 von Pfarrer Sigmund Dietz. Das Heim stand lange Jahre unter der Leitung von Mallersdorfer Schwestern. Der Stiftungsrat als oberstes Gremium setzt sich jeweils zusammen aus dem örtlichen Pfarrer, dem Bürgermeister, dem Stiftungsleiter, dem Hausgeistlichen und einem Bürger des Ortes. Die Einrichtung ist dem Deutschen Caritasverband angeschlossen

Stiftungsleiter Frank zweifelt den Wahrheitsgehalt der Schilderungen nicht an. Er empfindet aber Unbehagen, weil ihm das Buch zu sehr „auf Missstände ausgelegt“ ist. Es hätte damals im Heim zum Beispiel auch Selbstzahler gegeben, also Kinder aus der Gegend, bei denen die Eltern keine Zeit hatten, sich um ihre Kinder ausreichend zu kümmern. Und Frank führt eine Email aus Amerika an, in der ein ehemaliges Heimkind die Zeit als die schönste des Lebens bezeichnet habe. „Die Frau müsste zur fraglichen Zeit hier aufgewachsen sein.“

„Natürlich war das nicht in Ordnung, was damals passiert ist“, macht Willibald Maier, pädagogischer Leiter des Kinderheims deutlich. Maier, „seit 25 Jahren mit Heimerziehung befasst“ ist“ kennt Schläge als Erziehungsmittel nicht, sagt er. Früher freilich seien Zwangseinweisungen häufig gewesen und Schläge oder die im Buch genannten Misshandlungen dürften wohl so vorgekommen sein. Schließlich war damals eine Klosterschwester mit der Betreuung von 30 bis 40 Kindern alleine auf sich gestellt und oft genug auch überfordert.

Mit der heutigen Situation sei dies aber in keiner Weise zu vergleichen. „so intensiv wie heute wird sich um Kinder noch nie gekümmert.“ Heute umfasse eine Gruppe acht Kinder und dafür stünden rechnerisch 4,6 Planstellen zur Verfügung. Die Kinder würden auch nicht abgeschottet: „Bei uns ist es offen wenn es hell wird, bis es finster wird.“ Die Kinder sollen im Ort integriert werden, in Vereinen oder durch Teilnahme an Veranstaltungen wie etwa dem Bürgerfest. Und vor allem: „Die Kinder sollen nur so lange im Heim bleiben wie nötig.“

„Nur wenige Kinder verbringen ihre Jugend heutzutage in einem Heim“, bestätigt Karl Mooser. Leiter des Kreisjugendamts. „Im Schnitt zwei bis fünf Jahre“ währe eine Unterbringung. „Wir wollen, dass ein Kind nur mehr so lange im Heim bleibt, bis sich die Verhältnisse geändert haben“, betont Mooser die veränderten Strukturen. Zustände wie sie das Buch von Wensierki schildert, seien so heute nicht mehr denkbar. Einrichtungen bekämen keine Kinder einfach so zugewiesen. Das Personal in Heimen und in den Jugendämtern sei vom Fach, und Jugendämter wie Heimaufsicht übten ihre Kontrollfunktion pflichtbewusst und unangemeldet aus. Vor allem aber habe die Diskussion über gewaltfreie Erziehung das Erziehungsverhalten komplett geändert.

Bleibt die Frage, wie man mit den Menschen umgeht, die vor Jahrzehnten im Heim gedemütigt wurden. Bisher hat sich bei der Kinder- und Altenheimstiftung keiner der im Buch genannten Betroffenen gemeldet. Umgekehrt hat auch das Heim keinen Kontakt gesucht. Wenn jemand von diesen früheren Zöglingen kommt, „dann bieten wir Gespräche an“, betont Willibald Maier.

Spiegel-Autor Peter Wensierski fordert von der Kirche, „dass sie ihre Opfer um Verzeihung bittet für all das, was sie diesen Menschen angetan hat.“ Wie steht Pfarrer Heindl zu solch einer Forderung? Der Pfarrer betont, dass der frühere Papst Johannes Paul II. eben genau dieses getan habe. Und er persönlich? So einfach über die Medien, das wäre dem Pfarrer zu plakativ. „Wenn ich mich im Namen der Kirche entschuldigen müsste, dann würde ich das im persönlichen Gespräch tun.“