Bildung
Semesterbeginn an der leeren Uni

20.000 Studierende lernen jetzt daheim. Die Regensburger Hochschule setzt auf digitale Vorlesungen – und improvisiert.

16.04.2020 | Stand 16.09.2023, 4:54 Uhr
Hier drängen sich normalerweise die Studierenden, jetzt sind Universitätsgebäude menschenleer. Trotzdem: Am Montag beginnt das Semester – digital. −Foto: picture alliance/dpa

Bei diesem Ministerbesuch ist alles anders. Bernd Sibler tippt am Mittwoch an der Uni zur Begrüßung Ellbogen auf Ellbogen, am Eingang liegen Stoffmasken auf und im Saal sitzen wenige Gesprächspartner, weil die meisten live zugeschaltet sind.

Fünf Tage, bevor 20.000 Studierende sowie 3000 Lehrende und Mitarbeiter ins Semester starten, erklären Bayerns Wissenschaftsminister, Präsident Udo Hebel und einige Professoren, wie man sich ein Studium unter historisch neuen Bedingungen vorstellen muss.

Ein Support-Team und ein Unterstützer-Fonds

Profs fabrizieren daheim Podcasts und Videos, Studierende entdecken digitale Zugänge, Verwalter arbeiten unbeirrt zum Beispiel den Berg neuer Dienstverträge ab, Präsidium und Corona-Stab gewöhnen sich an virtuelle Meetings:Die Uni improvisiertauf Teufel komm’ raus, die Prämisse:minimale Präsenz,maximales Home-Office. Covid-19 soll sich nicht verbreiten, nicht an der Uni, auch nicht im Bus, auf dem Weg zum Campus. Die Betonbauten werden weitgehend menschenleer bleiben, mit Ausnahme etwa von Studierenden – es gibt einige – die keinen PC haben oder nur schlechtes Netz.

Der Uni-Präsident spricht von der „enormen Herausforderung“ der vergangenen fünf Wochen und vom hohen Kooperationswillen aller Akteure. „Bis hier haben wir vieles gut bewältigt.“ Der digitale Lehrplan steht, seit Mittwoch sind wie geplant alle relevanten Studienprogramme einsehbar, am Montag startet der Lehrbetrieb. Prof. Hebel: „Das wird kein perfektes Semester, aber ein bestmögliches.“

„Das Semester ist keine Frage der Freiwilligkeit. So wie die Profs müssen sich auch die Studierenden anstrengen.“ Bernd Sibler

Die Uni hat ein Support-Team für digitale Lehre installiert und einen Unterstützer-Fonds für Hard- und Software etwa aufgelegt. Der Fonds hat 163 000 seiner 200 000 Euro ausgeschüttet und wird, vielleicht schon am Montag, wieder aufgefüllt, sagt Vizepräsident Professor Nikolaus Korber. „Wir wissen, es gibt eine Lernkurve, nicht alles wird super laufen, aber wir konnten viele Bedenken ausräumen“, sagt Sibler. Das Semester wird nicht auf Regelstudienzeit und Bafög angerechnet, Härtefallfonds werden installiert, sagt der Minister, macht aber auch klar: „Das Semester ist keine Frage der Freiwilligkeit. So wie die Profs müssen sich auch die Studierenden anstrengen.“ Eine zweite Sache, die er betont: Das Provisorium wird kein Normalfall. „Ziel bleibt der Präsenzbetrieb, das Kernstück der Hochschularbeit.“

Wie neu das Terrain „digitales Studium“ ist und welche Fallstricke es birgt, zeigt sich am Mittwoch im Senatssaal auch: Ein Einspieler klappt nicht, ein Computer stürzt im Live-Gespräch ab.

„Positiv ist, dass die Infrastruktur für Live-Austausch einen Schub bekommt“, bekräftigt Prof. Susanne Leist, Vizepräsidentin für Digitalisierung. „Keiner sagt: Das geht nicht“: Dekan Prof. Jochen Petzold (Sprach- Literatur- und Kulturwissenschaften) betont, wie die Kollegen anpacken. Der Rahmen steht, jetzt folgt die Feinjustierung, bei der das Feedback der Studierenden einfließt, sagt deren Vertreter Georg Thurner. Datenschutz-Bedenken hätten sich zerstreut, aber vor allem für Erstsemester werde der Start ohne direkten Austausch schwierig.

Dekanin Prof. Silke Schworm (Humanwissenschaften) schildert, wie es kollaborativ gelang, mit gefilmten Vorlesungen ein virtuelles Semester zu erstellen. „Aktuell 545 Teilnehmer zeigen das große Interesse.“ Podcasts und Streamcasts begleiten die Dozierenden im Kurs. „Vieles funktioniert schon sehr gut“, sagt Dekan Prof. Ernst Tamm für Medizin und Zahnmedizin, hat aber eine Bitte: Der Gesetzgeber möge die vorgeschriebenen Präsenzpraktika modifizieren.

„Anfangs gab es Heulen und Zähneklappern und viele Bedenkenträger. Der digitale Student ist für uns noch ein unbekanntes Wesen“, bekennt Dekan Prof. Rainer Liedtke (Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften). Inzwischen sei das Mantra „Ein Semester halten wir das aus“ verinnerlicht. „Worauf wir aber nicht verzichten können: die Bibliotheken.“ Bücher-Zusendungen sollen einen gewissen Ersatz schaffen.

Damit die vielen tausend Akteure rund um die Uni im Neuland des digitalen Semesters den Kompass nicht verlieren, hat die Hochschule eine breite Informationskampagne gestartet. Die kommt offenbar gut an. Eine Umfrage auf Twitter, die die Zufriedenheit abfragte, bekam ungefähr 1500 Meldungen, sagt Präsident Hebel. „92 Prozent positiv.“

Problemfelder sind alle Bereiche, in denen es nicht ohne Labor, Experimente oder Praktika geht: Sport, Kunst, Musik, Naturwissenschaft. Je nach Fall wird versucht, digital zu starten und Präsenzphasen en bloc ans Semesterende zu legen.

Ganz ähnlich, sagt Minister Sibler, startet auch die Ostbayerische Technische Hochschule digital in ihr Semester. Vielleicht am ungewöhnlichsten dürfte sich der Lehrbetrieb an der Musikhochschule HfKM gestalten, denn: Wie lernt man ein Instrument am PC und wie spielt man im Ensemble, wenn der Ton dem Bild eine Latenzsekunde hinterherhinkt?

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