Handwerk
Uralte Schleifkunst inmitten des Weltkulturerbes

09.08.2013 | Stand 16.09.2023, 7:24 Uhr
Daniel Steffen
August Birzer führt seit seinem 18. Lebensjahr das gleichnamige Stahlwarengeschäft in der Taubengasse. Das Geschäft wurde im Jahre 1828 gegründet. −Foto: Fotos: Steffen

„Vorsicht! Extra scharf!“ warnt ein Schild die Kunden, beim Befühlen der Ware Obacht zu geben. Denn echt scharf sind die Schneidwaren von Schleifermeister August Birzer garantiert. In siebter Generation führt er sein Geschäft für Messer und Solinger Stahlwaren in der Taubengasse. Hier, inmitten des Weltkulturerbes, hat sich eine Jahrhunderte alte Tradition bewahrt: die Tradition der Schleiferkunst, so wie sie vor allem in Solingen im Bergischen Land bis heute gepflegt wird. Doch anders als in der Klingenstadt, wo sich im Schleifermuseum „Wipperkotten“ die Schleifräder noch mit der puren Wasserkraft der Wupper drehen, kommt bei Birzer der Schleifstein elektrisch auf Touren.

Und trotzdem wirkt seine Werkstatt auf den Besucher so, als ob das Rad der Zeit schon eine Weile stehen geblieben ist. Allein die Maschine, die den Schleifstein auf Trab bringt, hat ihr „Achtzigjähriges“ schon hinter sich. Obwohl der Zahn der Zeit äußerlich gewiss an ihr nagt, läuft sie auch heute noch wie geschmiert. „Der Schleifstein wiegt bestimmt dreieinhalb Zentner“, sagt Birzer, der zur Demonstration die Maschine anwirft. „Mit sechs Mann haben wird damals den Stein in die Werkstatt reintragen müssen.“ Er knüpft sich ein gebrauchtes Messer vor: „Zum Schleifen, da brauche ich all meine Finger. Von jedem Finger geht ein anderer Druck aus. Es ist so ein bisschen wie beim Klavierspielen“, erklärt der 66-jährige Mann mit freundlicher Stimme. Es erweckt sich der Eindruck eines „Messerflüsterers“, der mit jedem Makrometer der Klinge bestens vertraut ist.

„So schnell, wie man denkt, ist das Messer nicht geschliffen“, sagt Birzer, der sich zunächst die Mitte der Klinge vornimmt und erst dann zum Rand übergeht. „Das Messer nur am Rand zu schleifen, das bringt so gut wie nichts und ist nur Pfuscherei.“ Schließlich muss ein sauberer Übergang bis zur „Schneide“ geschaffen werden und die Schneidebewegung möglichst fließend sein. Und damit das Schneidwerkzeug auch ansprechend aussieht, wird das Messer noch von beiden Seiten mit einer Polierscheibe behandelt und bekommt im Anschluss einen „Abzug“, um den Grat zu entfernen.

Alle zwei Jahre ein neuer Schliff

Die Fachleute greifen gern auf sein fundiertes Schleifer-Wissen zurück: Von Profi-Köchen wie die vom Kolpinghaus und dem „Historischen Eck“ bis zur Bäckerei Ebner bringen Regensburger Unternehmen beim „Birzer“ ihre Messer zum Schleifen vorbei. „So alle sechs Monate“ sollte man seiner Klinge einen neuen Schliff verpassen, erklärt Birzer. Schon im Alter von drei Jahren stand er im Geschäft seiner Eltern, hat dort als kleiner Bub regelmäßig seine Hausaufgaben gemacht.

Im Alter von 18 Jahren, nach dem Tod seines geliebten Vaters, übernahm der junge August das Geschäft. Seine Meisterprüfung machte er am 11. März 1972 in München. Den „Goldenen Meisterbrief“ für langjähriges erfolgreiches Wirken im Handwerk bekam er am 16. Mai 2008 verliehen: Beide Urkunden zieren heute den Verkaufsraum. Dort sind neben hochwertigen Küchenmessern auch Rettungs- und Taschenmesser, Nagelscheren und sogar Wikinger- und Samurai-Schwerter erhältlich. Mit Live-Rollenspielern, die ins Geschäft kommen, um sich für ihre Kämpfe Schwerter zu kaufen, sieht es heute weniger rosig aus: Der Trend scheint gebrochen. „Aber die meisten Schwerter, die bei mir gekauft werden, hängen ohnehin zur Zierde an der Wand.“ Für manch Laien sicher überraschend, sind es „vor allem indische Unternehmen“, welche die Waffen anfertigen.

Name „Solingen“ zieht weiterhin

Ansonsten zieht bei den Messern der Name Solingen nach wie vor: Allen voran die Firmen Zwilling und Wüsthof mit dem Drei-Zacken-Logo sind die Marken, die viele Kunden unweigerlich mit dem Namen der bergischen Großstadt verbinden. Da es Birzer weniger um die Marke geht, bezieht er auch von vielen kleineren und mittelgroßen Firmen aus Solingen seine Waren. „Über Jahrhunderte gesehen hat sich Solingen als die Stadt der Branche herauskristallisiert.“

Für den Traditions-Handwerker bleibt zu hoffen, dass die Menschen eines Tages wieder mehr Abstand vom Geiz-ist-geil-Gedanken nehmen: Denn die Billig-Konkurrenz aus China & Co. und aus dem Internet macht auch ihm zu schaffen. „Ein geschmiedetes Kochmesser aber hat gut 60 Arbeitsgänge hinter sich. Das machen nicht alles Maschinen. Da ist viel Handarbeit vonnöten“, weiß Birzer haargenau, wie groß die Qualitätsunterschiede sind.

Persönlich schwört er auf den guten alten Holzgriff. „Ihn gibt‘s in Ebenholz, Kirschholz, Zwetschgenholz, Palisander und in vielen anderen Sorten. Er sieht einfach edel aus und liegt schön warm in der Hand.“