Themenwoche
A3-Chaos: Die „Big 7“ fürchten Dauerstau

Der Autobahnausbau wird Tausende Pendler aufhalten. Die größten Regensburger Arbeitgeber reagieren mit flexiblen Jobzeiten.

12.03.2018 | Stand 16.09.2023, 6:15 Uhr

Die A3 wird rund um die Uhr stark befahren. Die Städter nutzen sie gern für Kurzstrecken. „Da geht es rasant rauf und runter“, sagt ein Fachmann. Foto: Lex

Vor dem A3-Ausbau graut es Martin W. ein wenig. Seit Dezember pendelt der Infineon-Mitarbeiter zwischen Bad Abbach und dem Regensburger Westen. „Das ist jetzt schon eine Herausforderung. Zwischen 7.45 und 8.20 Uhr herrscht am Autobahnkreuz Regensburg das blanke Chaos“, klagt er. Zähfließender Verkehr, Stau oder gar ein Unfall – Martin W. weiß nie, was ihn erwartet. Wenn nun beim A3-Ausbau eine Spur dichtgemacht wird, wirkt sich das auch auf die A93 aus, befürchtet er.

76 000 Arbeitnehmer pendeln wie Martin W. nach Regensburg. Auf der Ausbaustrecke der A3 rollen täglich 70 000 Fahrzeuge. Schon jetzt sind die Stadtautobahnen zu Stoßzeiten völlig überlastet. In der Staubilanz für 2017 meldet der ADAC, dass bei den überregionalen Fernautobahnen die A3 zwischen Passau und Köln die schlimmste Strecke ist – und Regensburg liegt mitten drin. Bundesweit entfällt ein Fünftel der Staus auf Bayern. Pro Autobahnkilometer wurden hier 208 Kilometer Stau gemessen. Und jetzt die A3-Erweiterung, die viele herbeigesehnt haben und andere fürchten. Hinzu kommt, dass in der Region der Jobmotor läuft wie geschmiert und bis zu 3000 Neubürger im Jahr nach Regensburg ziehen. Das alles lässt die Verkehrsströme anschwellen.

Intensiv haben sich die „Big 7“, die sieben größten Regensburger Unternehmen, mit den Bauarbeiten auf der wichtigen Verkehrsachse befasst. BMW, Continental, Krones, Osram, die Maschinenfabrik Reinhausen, Siemens und Infineon beschäftigen zusammen 32 000 Mitarbeiter. In Gesprächsrunden mit der Stadt, der Industrie- und Handelskammer, der Autobahndirektion Südbayern und dem Regensburger Verkehrsverbund (RVV) stimmen sich die Global Player ab. Zulieferer und Mitarbeiter sollen so wenig wie möglich im Stau stehen. Blechkarawanen kosten Lebenszeit, schaden der Umwelt und bescheren den Unternehmen zusätzliche Kosten.

Die Krones AG in Neutraubling, deren Lebensader die A3 ist, hat sich eine Palette von Maßnahmen überlegt. Sie bietet den Beschäftigten mobiles Arbeiten und eine „kommunizierende Arbeitszeit“ an. Die Mitarbeiter müssen nicht wie bei der Gleitzeit bis zu einer bestimmten Uhrzeit im Betrieb sein, sondern können Tätigkeitsbeginn und -ende flexibel gestalten, also etwa montags um 8 Uhr kommen und dienstags um 10 Uhr. „Wir müssen das in der Abteilung kommunizieren und natürlich unsere Aufgaben erfüllen“, sagt Pressesprecherin Danuta Kessler-Zieroth. Für Schichtarbeiter gelten feste Arbeitszeiten. Doch der Maschinenbauer hat die Schichten so geregelt, dass sie nicht mit denen der umliegenden Unternehmen zusammenfallen.

Um den Mitarbeitern das Umsteigen zu erleichtern, stellt Krones 1000 Stellplätze für Fahrräder, Motorräder und Roller zur Verfügung. Zwei Drittel nutzen Radfahrer. Weitere Zweiradparkplätze sind geplant. Immer mehr Mitarbeiter nehmen die vom RVV nach einer Analyse der Pendlerströme eingeführte Buslinie 78 vom und zum Zug nach Burgweinting.

300 Leute fahren ÖPNV mit dem Jobticket. Kessler-Zieroth führt die Resonanz darauf zurück, dass das Jobticket nicht für ein Jahr erworben werden muss, sondern monatlich kündbar ist. Mit persönlichen Anschreiben wird die Firma die ÖPNV-Nutzung (Öffentlicher Personennahverkehr) einem größeren Kreis nahebringen.

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Auch Infineon und BMW werben für das Jobticket. Für den Güterverkehr plant Krones eine Logistik-Drehscheibe in Nürnberg. Dort können die Zulieferer die Waren loswerden. Auf der Schiene werden diese nach Neutraubling gebracht. Die Geschäftsführung ist froh darüber, dass sie vor zwei Jahren die eigene Gleisanlage wieder in Betrieb genommen hat. Krones-Produkte werden von Neutraubling aus auf der Schiene zu Logistik-Knotenpunkten nach Hamburg oder Bremerhaven gebracht. Pro Jahr spart der Maschinenbauer damit 1750 Lkw-Fahrten. In Zukunft sollen es 2000 Brummis weniger sein, die von Neutraubling in Richtung Hafen fahren. Die maximale Leistung des Gleises nach einem Ausbau: 2600 Waggons pro Jahr könnten 4000 Lkw ersetzen.

Bei der Continental AG pendeln laut Sprecherin Susanne Reimann wegen der unzureichenden ÖPNV-Anbindung viele Mitarbeiter mit dem Auto. Sie seien damit auch von Staus betroffen. Bei Conti gehören wie bei Osram und der Siemens AG flexible Zeitmodelle, wie das mobile Arbeiten im Homeoffice, zum Alltag. „Wir rechnen damit, dass unsere Mitarbeiter diese Modelle in Zukunft verstärkt nutzen werden, um Stoßzeiten zu umgehen“, kündigen Reimann und Siemenssprecher Bernhard Lott an. Simon Thaler von Osram ergänzt: „Da kann der Mitarbeiter kurzfristig reagieren.“ Natürlich kommt das Homeoffice nicht für die Leute in der Produktion infrage. Auch das Gleiten zwischen 6 und 20 Uhr ermöglicht es den Osram-Beschäftigten, den Stoßzeiten auszuweichen.

Für Biker sind bei Conti Fahrradkäfige installiert, die gut angenommen werden. Der Autozulieferer prüft, wie er die Belegschaft während des A3-Ausbaus entlasten kann. „Dabei stehen wir im engen Austausch mit anderen Unternehmen und der IHK“, betont Susanne Reimann. Auch der Pressechef des BMW-Werks, Andreas Sauer, hält Transparenz zwischen den „Big 7“ für „das schärfste Schwert“. Jeder müsse vom anderen wissen, was er tut. Der größte Regensburger Arbeitgeber handelt vorbildlich. BMW stellt Werksbusse zur Verfügung, mehr als die Hälfte der Mitarbeiter steigt ein. Für die Autofahrer bietet BMW eine Echtzeitinfo zur Verkehrslage an. Auch über Lieferzeiten-Änderungen für Stahl und Cockpits denkt der Autobauer nach.

Wichtige Fragen zum Ausbau der A3 beantworten wir hier!

Maschinenfabrik setzt auf Verkehrsinfos

Juliane von Rönne-Styra, Pressechefin der Stadt, gibt Sauer recht. „Wichtig ist, dass sich die Autofahrer unkompliziert über die Verkehrslage auf der A3 informieren können, um eine nicht unbedingt nötige Autofahrt umzuorganisieren und Stoßzeiten zu meiden.“ Die Autobahndirektion hat dafür die Website a3-regensburg.de freigeschaltet.

Dr. Nicolas Maier-Scheubeck, Geschäftsführer der Maschinenfabrik Reinhausen, entfährt ein Stoßseufzer: „Wir sind Gott sei Dank im Nordwesten.“ Doch die indirekte Betroffenheit sei nicht abschätzbar. Sein Pressemann Otmar Reichmeyer fügt hinzu, auch der Großteil der Belegschaft stamme aus dem Norden und Nordwesten der Stadt und des Landkreises. „Wir gehen daher von einer nur mittelbaren Betroffenheit durch veränderte Verkehrsströme aus.“

Auch die MR setzt auf Verkehrsinfos. „Dieses Angebot wird Teil unseres Informationspakets für Mitarbeiter und Lieferanten sein“, erklärt Reichmeyer. „Falls erforderlich, werden wir mit neuen An- und Ablieferzeiten für Lkw reagieren, erkennen jedoch noch keine Notwendigkeit für veränderte Schichtzeiten.“

Unfälle an der Tagesordnung

Infineon fühlt sich außen vor. „Unfälle und Staus sind in der Gegend keine Seltenheit“, stellt Sprecher Marcus Spangenberg unaufgeregt fest. Doch die hätten sich noch nie auf die Produktion ausgewirkt. Der Grund: Der Chiphersteller arbeitet nicht just-in-time, sondern hat ein großes Lager. Überdies handele es sich bei der A93 um die für Infineon wichtigere Verkehrsader Richtung München und Flughafen. Die Mitarbeiter wohnen in allen Gegenden des Landkreises, vor allem aber in der Stadt, also günstig. Infineon informiert regelmäßig über alle Entwicklungen im Zusammenhang mit dem A3-Ausbau.

Die Siemens-Belegschaft kommt aus dem Umland und der Stadt. Sprecher Bernhard Lott schätzt die Verkehrslage als kritisch, aber nicht dramatisch ein. Echte Einschränkungen ergäben sich bei Unfällen. Doch allein, dass sich die „Big 7“ nun regelmäßig treffen, spiegelt die Brisanz der Situation wider.

Blick auf die Autobahn: An einem Dienstag im Februar kracht es auf der A3 bei Burgweinting innerhalb von 30 Minuten dreimal. Ein Gaffer gerät mit seinem Auto unter einen Lastwagen.

IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes kritisiert scharf, dass beim Ausbau der Verkehrsachsen – Stichwort Sallerner Regenbrücke – und des ÖPNV zu wenig passiert sei. Was wurde versäumt? Die Gemengelage ist schwierig. Klagen blockieren den Bau der Sallerner Brücke. Kein Vorschlag für eine zusätzliche Donauquerung kam über die Planung hinaus. Bei der möglichen Westtrasse in der Altstadt zog die UNESCO die Rote Karte. Die Kneitinger Brücke lehnt die Stadt ab. Gegen eine Sinzinger Nahverkehrsbrücke sind Anwohner Sturm gelaufen.

Die einzigen wirklichen Versäumnisse: Stadt und Kreis haben zu lange auf das Auto gesetzt, das Fahrrad und der ÖPNV im Umland wurden vernachlässigt. Erst 2017 stellte der Stadtrat die Weichen für eine Tram. „Da besteht in Regensburg Nachholbedarf“, betont Kai Müller-Eberstein, Chef des Regensburger Verkehrsverbunds (RVV). Doch die Stadt wachse auch sehr schnell: die Zahl der Jobs, die Bevölkerung, die Pendlerquote. „Sie brauchen ein höherwertiges System, das auf eigener Trasse rollt und bei dem Sie Fahrzeitenvorteile erleben können. Dann wird das Umsteigen interessant.“ Wutzlhofen wäre ein interessanter Knotenpunkt von Zug, Tram, Autobahn und B16. Bis die Tram startet, vergehen zehn Jahre.

Derweil arbeiten Stadtwerke und RVV daran, Stadt- und Regionalbusse sowie Bahn enger zu verknüpfen. RVV-Chef Müller-Eberstein ist zufrieden mit der Linie 78 und verweist auf die neue X4, die den Bahnhaltepunkt Burgweinting mit dem Uniklinikum und den Hochschulen verbindet, so dass man nicht erst zum Hauptbahnhof muss. Mit weiteren durchgehenden Busspuren, etwa Richtung Norden auf der Nibelungenbrücke, will Müller-Eberstein den ÖPNV beschleunigen. „Damit Sie mit dem Bus am Stau vorbeifahren können.“ Das animiere Pkw-Fahrer zum Umsteigen.

Ortstermin auf der Autobahn: Zwischen den Abfahrten Regensburg-Ost und Neutraubling wurde kräftig abgeholzt. Wo die neuen Spuren kommen, sind nur noch Baumstümpfe zu sehen. Bei Neutraubling reihen sich neben der Straße die Baufahrzeuge.

Bahn ist ausgelastet

Wie kompliziert es sein kann, ÖPNV-Lösungen zu finden, zeigt Kai Müller-Ebersteins Problem mit dem Norden. „Aus dieser Richtung kommt ein großer Strom von Arbeitnehmern.“ Dort gibt es nur den Bahnhof Regenstauf. Die Schaffung des Bahnhaltepunkts Walhallastraße wird sich Jahre hinziehen. Von dort könnten die Menschen mit dem Bus in die östlichen Gewerbegebiete fahren. Die Verzögerung sei ein Problem der Stadt und der DB Regio. Stadtsprecherin Juliane von Roenne-Styra kontert: „Die Realisierung des Bahnhaltepunkts Walhallastraße erfolgt durch die Deutsche Bahn.“ Weil Kommune und DB uneins sind, ist die Finanzierung nicht gesichert.

Auch die Bayerische Eisenbahngesellschaft sieht sich nicht in der Lage, ihren Nahverkehr während des Autobahnausbaus zu verbessern. Die Züge und Bahnanlagen im Raum Regensburg seien stark ausgelastet, die Fahrpläne an der Kapazitätsgrenze, heißt es. Die Arbeitgeber bieten Jobtickets und Werksbusse, der RVV optimiert die Busspuren, um Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen. Für Landkreisbewohner, die unter lausigen Verbindungen leiden, und für Pendler mit langen Strecken ist die Sache nicht so einfach. Katrin Heinemann und Sabina Jordan können kaum auf den ÖPNV umsteigen, weil sie von Berg bei Neumarkt zu Krones Neutraubling pendeln.

Ab der Sinzinger Brücke staut es sich

„Wir jammern jetzt schon beide“, sagen die Personalfachkräfte zum A3-Ausbau. „Wir fangen um 7 Uhr an, um dem Chaos am Kreuz Regensburg zu entgehen, das auch heute schon herrscht. Zwischen 7.30 und 8 Uhr ist die heißeste Phase.“ Bei der Sinzinger Brücke auf der A3 beginnen die Blechkarawanen, zäh zu fließen oder sich zu stauen. Der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel wäre umständlich. „Dann hätten wir eine minimale Anfahrtszeit von eineinhalb Stunden“, sagt Sabina Jordan. Die Frauen müssten mit dem Auto zum Bahnhof Neumarkt, mit der Bahn nach Regensburg, dort in einen Agiliszug nach Burgweinting umsteigen und dann in den Bus.

Katrin Heinemann (42), Sabina Jordan und ihr dritter Mitfahrer, ein Kollege, den sie in Parsberg abholen, machen vieles richtig. Sie bilden eine Fahrgemeinschaft und vermeiden die Stoßzeiten. Das ist es, was die Stadt Regensburg und die Autobahndirektion Südbayern für die Ausbauphase noch eindringlicher als sonst raten.

Da die A3 auf dem Stadtabschnitt zwischen Kreuz Regensburg und Rosenhofam stärksten befahren wird, weil auch viele Städter sie nutzen, empfiehlt die Autobahndirektion, sich jede Fahrt zu überlegen und Spitzenzeiten zu meiden. Bei Staus sollen die Fahrer auf der Autobahn bleiben. Dr. Nicolas Maier-Scheubeck von der Maschinenfabrik Reinhausen glaubt: „Dort, wo derzeit Radwege gehen, werden vielleicht SUVs fahren. Der Verkehr wird sich seinen Weg suchen.“ Das befürchten auch Radpendler wie Karin Dellinger aus Neutraubling, die über Feldwege zum Büro in Regensburg strampelt.

Ortstermin auf der Autobahn: Weil im Ausbaubereich am letzten Dienstag zwei Fliegerbomben entdeckt werden, sperrt die Polizei beide Richtungen zwischen Regensburg-Ost und Rosenhof. Rundherum Stau. Bei der Sondierung der gesamten Ausbaustrecke wegen Kriegsmunition gab es an „sehr vielen Stellen“ Hinweise auf Metall im Boden.

Pendler Martin W. von Osram kann sich eine gewisse Ironie nicht verkneifen: „Das werden spannende Jahre.“

Das MZ-Spezial zum A3-Ausbau:

Wo müssen Pendler aktuell mehr Zeit einplanen? Aufwww.mittelbayerische.de/a3informieren wir über die aktuelle Verkehrslage auf der A3 und in der gesamten MZ-Region sowie über die Bauarbeiten auf der Mega-Baustelle.

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