Medizin
App erleichtert den Patienten-Alltag

Wer an Darmerkrankungen leidet, muss häufig zur Kontrolle. Das Uniklinikum Regensburg prüft ein Testsystem für zu Hause.

07.06.2016 | Stand 16.09.2023, 6:43 Uhr
Louisa Knobloch
Dr. Gisela Wölfel (l.) und Prof. Dr. Martina Müller-Schilling erläutern Patient Daniel H. das neue Testverfahren. −Foto: UKR

Es beginnt mit starken Bauchschmerzen, die meist abends auftreten. „Zum Teil konnte ich nächtelang nicht schlafen“, berichtet Daniel H. Der damals 20-Jährige macht gerade eine Ausbildung zum Koch, als seine Odyssee beginnt. Immer wieder landet er wegen der Koliken in der Notaufnahme, lässt rund zehn Magen-Darm-Spiegelungen über sich ergehen – doch die Ärzte finden nichts.

Daniel H. geht es schlecht, er verliert massiv an Gewicht. Der 1,83 Meter große junge Mann wiegt schließlich nur noch 62 Kilo. Die mysteriöse Krankheit bestimmt sein Leben. „Man ist extrem eingeschränkt“, sagt er. Abends geht er nicht mehr aus dem Haus. „Man weiß ja, dass die Bauchschmerzen kommen.“ Auch psychisch ist die Situation sehr belastend für ihn. „Ich habe immer viel gearbeitet und auf einmal muss man erkennen, dass der Körper nicht mehr mitspielt.“ Seine Stelle als Koch in einem Sterne-Restaurant gibt er auf, arbeitet nun in einem Altenheim. „Dort hatte ich geregelte Arbeitszeiten.“

Fünf Jahre dauert sein Leidensweg, bis am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) schließlich Morbus Crohn in seinem Dünndarm diagnostiziert wird. Bei dieser Autoimmunerkrankung kommt es zu einer chronischen Entzündungsreaktion, die den gesamten Magen-Darm-Trakt betreffen kann. Insgesamt sind in Deutschland rund 400 000 Personen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa betroffen, sagt Prof. Dr. Martina Müller-Schilling, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des UKR.

Grundsätzlich kann der Morbus Crohn den gesamten Gastrointestinaltrakt befallen. Allerdings weisen bis zu zehn Prozent der Patienten einen isolierten Dünndarmbefall auf, der zum Teil schwierig zu diagnostizieren ist, da der gesamte Dünndarm einer konventionellen endoskopischen Diagnostik nicht zugänglich ist, erläutert ihr Kollege PD Dr. Michael Selgrad. Bei Daniel H. liegt aber ein solcher isolierter Befall des Dünndarms vor. Erst das von dem Japaner Hironori Yamamoto im Jahr 2001 veröffentlichte Verfahren der Doppelballon-Enteroskopie mache es möglich, auch tiefer gelegene Abschnitte des Dünndarms endoskopisch einzusehen.

Für Daniel H. war die Diagnose eine Erleichterung. Endlich hatte er einen Namen für seine Beschwerden. Die Krankheit war allerdings schon so weit fortgeschritten, dass eine Operation nötig war. „Durch die Entzündungen entstehen Narben an der Darmwand, sogenannte Strikturen“, erläutert Selgrad. Zwölf solcher Strikturen wurden 2014 bei Daniel H. darmerhaltend entfernt, um die Durchgängigkeit des Darms wieder herzustellen.

Seit der Operation ist der junge Mann beschwerdefrei. „Ich habe mein Leben zurück“, sagt er. „Endlich kann ich abends wieder weggehen, ohne Angst haben zu müssen, mit dem Krankenwagen abgeholt zu werden.“ Auch beruflich hat er sich neu orientiert und macht jetzt eine Ausbildung zum Hotelbetriebswirt. „Das wäre vorher nicht möglich gewesen.“ Allerdings ist Daniel H. auch bewusst, dass Morbus Crohn eine chronische Erkrankung ist, für die es zwar Behandlungsmöglichkeiten, aber noch keine Heilung gibt. „Für die Betroffenen ist das eine lebenslange Herausforderung“, sagt Müller-Schilling.

Patienten messen Wert zu Hause

Daniel H. muss sich nun alle 14 Tage einen TNF-alpha-Blocker spritzen. Dabei handelt es sich um ein Medikament, das einen der Signalwege blockiert, die im Darm die Entzündung auslösen. Alle drei bis vier Monate ist der 27-Jährige zudem zu Kontrolluntersuchungen am UKR. „Unsere Patienten kommen aus einem Umkreis von 200 Kilometern“, sagt Müller-Schilling. Für die Patienten bedeuten die Kontrolltermine einen hohen zeitlichen Aufwand. Eine App soll die Behandlung der Betroffenen künftig einfacher machen. Das UKR sei das erste Klinikum in Deutschland, das ein solches digitales Testsystem zur Überwachung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa einführe, betont Müller Schilling. Das deutsche Gesundheitssystem könne sich nicht vor der Digitalisierung verschließen, ist sie überzeugt. „Wenn man die digitalen medizinischen Möglichkeiten klug nutzt, kann man die Arzt-Patienten-Beziehung auf eine neue Qualitätsstufe heben und langfristig die Behandlungsqualität und die Autonomie der Patienten verbessern.“

Mit dem Testsystem wird der Calprotectin-Wert im Stuhl gemessen. Dieses Protein dient als Biomarker, mit dem sich Entzündungen im Darm nachweisen lassen. „Die Anwendung funktioniert schnell und einfach“, sagt Daniel H., der das neue System als einer der ersten bereits getestet hat. Die Stuhlprobe wird in einem Probenröhrchen mit einer Lösung vermischt und vier Tropfen davon werden auf die Testkassette aufgetragen. Nach etwa 15 Minuten bildet sich ein Farbstreifen im Ergebnisfenster des Tests, den der Patient mit dem Smartphone abscannen kann. „Nach zehn Sekunden wird dann der Calprotectin-Wert angezeigt und zeitgleich per E-Mail an den behandelnden Arzt übermittelt“, beschreibt Daniel H. Auch den Verlauf, das heißt die Ergebnisse aller vorangegangenen Tests, kann man sich auf dem Smartphone anzeigen lassen. Die App erfülle höchste Sicherheitsstandards, betont Müller-Schilling: Die Daten werden als Zahlencode verschlüsselt über einen Sicherheitsserver übertragen. Erst der behandelnde Arzt kann die Messwerte wieder mit dem Profil des Patienten verknüpfen.

„CED verlaufen oft schubweise. Mit der App können wir frühzeitig auf einen erhöhten Entzündungswert reagieren und Patienten kurzfristig zu einer Untersuchung einbestellen, um die Therapie anzupassen“, sagt Dr. Gisela Wölfel, die Leiterin der Darmsprechstunde am UKR. Sind die Werte dagegen in Ordnung, seien auch längere Abstände zwischen den Kontrolluntersuchungen denkbar.

UKR plant Studie zur neuen App

Patientenvertreter Friedel Küsters vomLandesverband der Deutschen Morbus Crohn / Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV)sieht das neue Verfahren positiv: „Es ist toll, dass man damit sofort einen Wert von einem wichtigen Marker bekommt.“ Bislang würden Stuhlproben per Post eingeschickt und im Labor ausgewertet. „Manchmal liegen die Werte dann nicht vor, wenn man im Sprechzimmer sitzt.“ Mit der neuen Methode seien Arzt und Patient informiert und könnten über die Therapie sprechen.

Mit einer wissenschaftlichen Studie, die rund 100 Patienten in zwei Gruppen umfassen soll, will man am UKR die Einführung des digitalen Testsystems begleiten. „Wir wollen untersuchen, inwieweit die App ausreichend ist, um den Therapieverlauf zuverlässig zu kontrollieren und ob sich ein Zusatznutzen wie Autonomie, Komfort und Zeitgewinn für die Patienten belegen lässt“, sagt Müller-Schilling. Vor allem für Patienten, die neu auf eine Therapie eingestellt werden oder für bestimmte Gruppen wie Schwangere, bei denen besonders engmaschige Kontrollen nötig sind, sei die App geeignet.

Daniel H. will im Sommer für vier Wochen durch Asien reisen. „Mit der App habe ich die Möglichkeit, die Krankheit trotzdem mit meinen Ärzten zu überwachen.“

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