Geburt
Sprechstunde für Eltern mit „Baby-Blues“

Mütter und Väter in seelischer Not können sich an die Diakonie in Neumarkt wenden. Wochenbettdepressionen kommen häufig vor.

02.09.2021 | Stand 16.09.2023, 0:55 Uhr
Wenn Eltern in eine seelische Schieflage geraten, bekommen sie Hilfe bei der Diakonie in Neumarkt. −Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Ein Kind stellt das Leben seiner Eltern ordentlich auf den Kopf. Das ist völlig normal. Doch manchmal beginnen psychische Belastungen oder Depressionen schon während der Schwangerschaft. Dafür ist die neue „Baby-Blues-Hotline“ im Landkreis Neumarkt gedacht.

Früher nannte man sie Wochenbettdepression. Heute spricht man von peripartalen Krisen. Die Hintergründe sind jedoch dieselben: Gerade in dem Moment, da alle Welt von einer Mutter erwartet, dass sie vor lauter Glück über ihr Baby strahlt, fühlt sie sich unsicher und traurig und möchte sich am liebsten im Bett verkriechen.

Wissenschaftliche Studien belegen, dass es rund jeder vierten Frau so ergeht. Trotzdem fühlen sich die Betroffenen meistens als Rabenmütter, weiß Anita Buchner von der Koordinationsstelle KoKi-Netzwerk frühe Kindheit. Die Mütter litten unter Versagensängsten und setzten sich unter Druck, um zu funktionieren, anstatt Hilfe zu holen. „Das Thema ist noch immer ein Tabu und mit hohen Scham- und Schuldgefühlen verbunden“, sagt die Sozialpädagogin und Hebamme. „Es betrifft aber nicht nur Frauen, sondern schließt Männer mit ein.“

Für alle diese Eltern, aber auch für Angehörige, Freunde und Fachkräfte, bietet die Diakonie Nürnberger Land Neumarkt ab 9. September eine Sprechstunde an. Immer donnerstags von 9.30 bis 10.30 Uhr können sie Marion Meier anrufen. Die Sozialpädagogin und Systemische Beraterin berät selbst oder öffnet Türen für geeignete Fachstellen und Beratungsangebote – je nach individueller Situation.

Hilfe für Mütter und Väter

„Wir haben im Landkreis Neumarkt schon sehr viele Angebote, aber sie sind nicht bekannt. Die Betroffenen wissen nicht, welchen Weg sie einschlagen müssen“, sagt Anita Buchner. Das soll sich jetzt ändern. Das Projekt ist ein Ergebnis eines Fachtags, der Mediziner, Psychologen, Erzieher, Lehrer und Berater vieler Fachstellen aus dem Landkreis zusammengebracht hat, um gezielt Müttern und Vätern zu helfen, die durch die Geburt eines Kindes aus der Bahn geworfen werden. Den Anstoß hatte damals die Koordinierungsstelle KoKi gegeben.

Das Fatale an einer peripartalen Krise ist: Sie kann Betroffene aus heiterem Himmel erfassen und sie trifft Frauen mit sozial schwachen Bindungen genauso wie eine Karrierefrau mit stabilen familiären Strukturen. „Im Vorfeld gibt es keine Risikofaktoren“, sagt Marion Meier. Bei manchen Frauen endet die Krise bereits nach wenigen Wochen. Andere leiden unter Schlafstörungen, Angstzuständen und massiven Depressionen, die sich über Jahre hinziehen.

„Deshalb ist es wichtig, dass die Frauen sich möglich rasch Hilfe suchen.“Marion Meier, Sozialpsychiatrischer Dienst Neumarkt

Im schlimmsten Fall können sie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch nach sich ziehen und die Partnerschaft zerstören. Bei einer anderen Gruppe von Frauen kann eine Geburt alte Traumata oder psychische Störungen offen legen, deren Wurzeln in der eigenen Kindheit liegen. „Deshalb ist es wichtig, dass die Frauen sich möglich rasch Hilfe suchen“, sagt Meier. Und sie macht ihnen Mut: „Ich weiß, dass Beratung wirkt.“

Definition:Zielgruppe der Hotline:Hotline:Anbieter:
Der Begriff „peripartal“ bezieht sich auf den Zeitraum der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbetts.Mütter, Väter, Angehörige, Freunde, Fachleute wie Kinderkrankenschwestern, Frauenärzte, Hebammen oder Pädagogen.Sie ist ab 9. September jeden Donnerstag von 9.30 bis 10.30 Uhr geschaltet. Telefonnummer (09181) 46400.Das Diakonische Werk Altdorf-Hersbruck-Neumarkt ist der Träger des Sozialpsychiatrischen Diensts mit gerontopsychiatrischer Fachberatung. Sie befindet sich in der Friedenstraße 33 in Neumarkt.

Denn es geht nicht nur um die Mutter oder um den Vater, sondern um die ganze Familie: Seelisch belastete Eltern können nicht die Bindung zu einem Neugeborenen aufbauen, die nötig wäre, damit es zu einer starken und gesunden Persönlichkeit heranwächst. Damit können sich die Probleme exponentiell vervielfachen.

Wenn man davon ausgeht, dass zehn bis 20 Prozent der Frauen eine psychische Störung entwickeln, wären das bei rund 1000 Frauen im Jahr, die im Klinikum Neumarkt entbinden, schon allein 100 bis 200 Betroffene, rechnet Buchner vor. „Solche Kinder haben ein um 50 Prozent höheres Risiko, selbst an einer psychischen Störung zu erkranken.“ Damit gerät diese Hilfe für Eltern gleichzeitig zu einem wichtigen gesamtgesellschaftlichen Baustein.

Gespräche unterliegen der Schweigepflicht

Und das soll die „Baby-Blues-Hotline“ leisten: Betroffene können für sich abklären, ob nur eine leichte Verunsicherung vorliegt oder eine ernste Störung, die behandelt gehört. Marion Meier beantwortet unverbindlich Fragen in dieser Sprechstunde oder vereinbart weitere persönliche Beratungstermine. „Ziel ist immer, dass die Betroffenen zu ihrer eigenen Stärke zurückfinden“, sagt die 44-Jährige. Zwar unterliegt sie der Schweigepflicht, aber Hilfesuchende können auch anonym bleiben. „Sie brauchen keine Angst zu haben, dass sie eingewiesen werden oder das Jugendamt ihnen das Kind wegnimmt.“

Diese neue Sprechstunde ist der erste Schritt auf dem Weg, um Eltern bei peripartalen Krisen effektiver zu unterstützen. Ein Flyer mit allen Beratungsstellen ist in Arbeit, zusammen mit dem Klinikum Neumarkt möchte KoKi einen Fragebogen für werdende Eltern für ein Screening entwickeln. Auch eine Selbsthilfegruppe ist angedacht.